Universität Marburg: Forschungsprojekt Kolkrabe
Eine ehemals ausgerottete Großvogelart kehrt zurück: Der Kolkrabe (Corvus corax)
Tausendfach vergiftet, abgeschossen oder erschlagen, schreiben viele Rabenvogelarten in Europa eine „schwarze Geschichte“. Auch der größte heimische Singvogel, der Kolkrabe (Corvus corax), erlitt in Europa massive Bestandseinbrüche und wurde schließlich großflächig ausgerottet.
In den Niederlanden beispielsweise, setzte um 1900 ein starker Rückgang ein, welcher zum vollständigen Verschwinden der Art im Jahre 1927 führte. In Belgien brütete er letztmals 1919 und in Luxemburg verschwand er schon Ausgang des 18. Jahrhunderts.
In Deutschland kamen Raben einst in allen größeren Waldgebieten als Brutvogel vor.
Mitte des 18. Jahrhunderts war ein Absinken der Bestandsgrößen zu verzeichnen. Um die Jahrhundertwende fehlte der Rabe bereits in Baden-Württemberg, Hamburg, in der Pfalz, in Sachsen, Schlesien, Thüringen und Westfalen als Brutvogel.
Letzte Refugien lagen im norddeutschen Raum, in Polen sowie in entlegenen Tälern der Alpenregion. Erst nach Beendigung der aggressiven Verfolgung durch den Menschen und anfängliche Schutzbemühungen expandierte der Kolkrabe wieder in Richtung seiner ehemaligen und angestammten Verbreitungsgebiete. Die Wiederbesiedlung wurde genährt von den Teilpopulationen der Rückzugsgebiete.
Obwohl der Kolkrabe bereits seit einigen Jahrzehnten wieder in der Ausbreitung begriffen ist, ist bis dato noch nicht das gesamte ehemalige Verbreitungsgebiet wiederbesiedelt. In einigen deutschen Bundesländern (Schleswig-Holstein, Mecklenburg Vorpommern) ist er jedoch wieder nahezu flächendeckend als Brutvogel vertreten. Heute können in weiten Teilen Mitteleuropas wieder Kolkraben beobachtet werden und der einst häufige Großvogel bereichert wieder die heimische Fauna.
Mit seinem Schicksal steht der Kolkrabe beispielhaft für mehrere europäische Großtierarten wie etwa dem Schwarzstorch, dem Luchs oder dem Wolf. Während viel Arten in Mitteleuropa in ihren Populationen gefährdet sind, schaffen es einige ehemals ausgerottete Arten aufgrund von Schutzbemühungen ihre ehemaligen Areale wieder zu besiedeln. Für künftige Artenschutzmaßnahmen ist es wichtig, derartige Wiederbesiedlungsprozesse zu dokumentieren und zu verstehen, um künftige Schutzstrategien zu entwickeln und das langfristige überleben der Arten zu gewährleisten.
Der genaue Ablauf der mitteleuropäischen Wiederbesiedlung durch den Kolkraben – ausgehend von den drei Refugialgebieten – ist nicht abschließend geklärt. Von welchen Reliktpopulationen die Kolkraben im Bereich der aktuellen Wiederbesiedlungsfront abstammen ist ebenfalls unklar. Inwiefern sich die Kolkraben genetisch unterscheiden und ggf. so genannte „ökotypen“ (Buchenbrüter, Koniferenbrüter, Felsbrüter) ausgebildet haben, ist offen. Im Rahmen eines von der Tierschutz-Stiftung Wolfgang Bösche geförderten Forschungs-projektes am Fachbereich Biologie der Philipps Universität Marburg, Arbeitsgruppe Tierökologie, beschäftigt sich der Diplom- Biologe Sascha Rösner in seiner Dissertation neben den rein deskriptiven Aspekten (Kartographische Darstellung der Wiederbesiedlung) u.a. mit der genetischen Diversität der Kolkraben.
Dabei stehen verschiedene ökologische Fragestellungen im Vordergrund:
- Existiert eine kryptische genetische Diversität der mitteleuropäischen Kolkraben (vgl. Studien in Nordamerika) ?
- Woher stammen die Tiere, die sich derzeit in Mitteleuropa ausbreiten?
- Gibt es eine genetische „Verarmung“ durch die lokalen Ausrottungen (ggf. historische Daten aus Sammlungen, Museen)?
- Verlief die Wiederbesiedlung zunächst über große geschlossene Waldregionen (Kartenmaterial)?
- Wie wird sich die weitere Bestandssituation der mitteleuropäischen Kolkraben weiterentwickeln (computerbasierte Modellierung)?
- Welche Rückschlüsse können auf die Wiederbesiedlungs- und Etablierungsprozesse anderer Arten gezogen werden?
Die Ergebnisse werden den faszinierenden Prozess einer natürlichen Wiederbesiedlung durch eine ehemals heimische Großvogelart verdeutlichen. Die langfristige Etablierung und das überleben der Kolkrabenpopulationen in Mitteleuropa hängen jedoch von der Akzeptanz in der Bevölkerung ab …